Montag, 5. Dezember 2011

Interessante Originalstudien


Hier noch ein paar originale Studien über Alexithymie, die die Aussagen hier im Block unterstützen und ergänzen. Alle aufgelisteten Arbeiten sind im Internet frei zugänglich. Ich verlinke die Arbeiten nicht, weil sich solche Links schnell ändern. Mit Titel und Autor lassen sich die Artikel schnell mit Suchmaschinen finden. Mit den Suchbegriffen "Alexithymia" und "pdf2 lassen sich noch viele andere wissenschaftliche Arbeiten aus erster Hand finden. Darunter sind aber viele Studien, die sich mit ganz speziellen Fragestellungen beschäftigen.

Die genannten Arbeiten enthalten neben den direkt behandelten Aspekten oft auch weitere interessante Aussagen über Alexithymie. Meistens ist zumindest ein kurzer Abschnitt mit den wichtigsten Grundannahmen zur Alexithymie enthalten. In der Regel ist es für medizinische Laien nur sinnvoll die einleitenden Kapitel und die Ergebnisdiskussionen am Ende zu lesen.
Trotzdem sollte man hin und wieder mal auch tiefer hinein sehen. Es ist sicher interessant zu sehen, auf welch geringen Teilnehmerzahlen und speziellen Teilnehmergruppen einige Thesen beruhen. Interessant ist auch, mit welchen statistischen Methoden manche Aussagen aus dem Durchschnittsergebnis heraus gearbeitet werden. Nicht zuletzt wird auch klar, dass viele Fragen noch in Diskussion sind.

Alexithymia in Finnish General Population
Aino Mattila

Die Dissertation ist von 2009 und behandelt sehr viele Aspekte der Alexithymie. Weil sie zudem sehr verständlich geschrieben ist, gibt sie einen sehr guten, aktuellen Überblick über viele Fragestellungen im Zusammenhang Alexithymie.

Die Sprache der Gefühle. Die Entwicklung unserer emotionalen Fähigkeiten.
Matthias Franz

Die Arbeit beschreibt wie sich die emotionalen Fähigkeiten bei Kindern entwickeln und wie durch fehlende Faktoren alexithyme Merkmale entstehen können.

Associations between Alexithymia and mental well-being in Adolescents
Max Karukivi

Die Studie untersucht Zusammenhänge zwischen Alexithymie und der frühkindlichen Entwicklung, sowie Zusammenhänge zwischen Alexithymie und psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen, Essstörungen usw.

Affective Deprivation Disorder: Does it Constitute a Relational Disorder?
Harriet F. Simons Ph.D, Jason R. Thompson

Zusammenhänge zwischen Alexithymie und Partnerschaftskonflikten werden diskutiert.

Alexithymia in the interpersonal domain: A general deficit of empathy
Delphine Grynberg , Olivier Luminet, Olivier Corneille, Julie Grèzes, Sylvie Berthoz

Der Einfluss von Alexithymie auf die Fähigkeit zur Empathie, also zum Einfühlungsvermögen, wird untersucht.

Impaired Verbal and Nonverbal Emotion Recognition in Alexithymia
Richard D. Lane, MD, Lee Sechrest, PHD, Robert Reidel, PHD, Victoria Weldon, BS, Alfred Kaszniak, PHD, and Gary E. Schwartz, PHD

Die Studie prüft, ob Aylexithyme Gefühle nicht wahrnehmen können, oder ob sie Gefühle nur nicht in Worte fassen können.

Gender Differences in Alexithymia
Ronald F. Levant, Rosalie J. Hall, Christine M. Williams, and Nadia T. Hasan

Diese Meta-Studie - d.h. die Studie wertet andere Studien aus -  hinterfragt, ob Männer häufiger alexithym sind, als Frauen.

Alexithymie und Psychotherapie
Rufer, M; Jenewein, J

Die Studie stellt in Frage, dass Alexithymie den Verlauf von psychotherapeutischen Behandlungen immer negativ beeinflusst.

Alexithymia Assessment and Relations with Dimensions of Personality
Grégoire Zimmermann, Jérôme Rossier, Franz Meyer de Stadelhofen, and François Gaillard

Die Studie beleuchtet bisher wenig beachtete Zusammenhänge zwischen Alexithymie und Persönlichkeit, z.B. Impulsivität und Irrationalität.

Empathy and Judging Other’s Pain: An fMRI Study of Alexithymia
Cerebral Cortex September 2007

Durch Messung der Hirnaktivitäten wurde untersucht, wie Alexithyme auf Bilder reagieren, auf denen Menschen mit Schmerzen zu sehen sind, und wie sie diese Schmerzen im Vergleich zu nicht Alexithymen einschätzen.

Sonntag, 4. Dezember 2011

Offene Fragen und scheinbare Widersprüche


Die Beschäftigung mit Alexithymie kann schnell zu Verwirrung führen. Es gibt die schon erwähnten vier Kriterien zur Alexithymie. Darüber hinaus scheint jeder Autor unter Alexithymie etwas anderes zu verstehen. Die unterschiedlichen Konzepte zur Erklärung von Ursachen und Wirkungen klingen dabei in sich meistens plausibel, scheinen sich oft aber gegenseitig zu widersprechen. Sie lassen z.B. offen, ob es eine spezifische Ursache für eine spezifische Alexithymie gibt, oder ob es mehrere Ursachen für verschiedene Arten von Alexithymie gibt. Mal gelten Entwicklungsstörungen im Gehirn als Ursachen, dann eine gestörte Beziehung zwischen Mutter und Kind, dann wieder mehr oder weniger traumatische Erlebnisse, chronischer Stress etc. in jeder Altersphase usw.

Auch die Hirnforschung klärt nicht, ob z.B. Auffälligkeiten bei der Informationsverarbeitung die Ursache für Alexithymie oder die Folge von Alexithymie sind. Oder ob diese Auffälligkeiten und Alexithymie sogar unterschiedliche Folgen einer Ursache sind. Die meisten Autoren interpretieren diese Fragen auf jeweils ihre eigene Art, statt sie offen anzusprechen.

Entsprechend unklar ist, ob es Behandlungsmöglichkeiten gibt. Je nach Autor und angenommener Ursache wird behauptet, dass eine Behandlung nicht möglich ist, oder es werden Erfolg versprechende Behandlungsansätze beschrieben.

Auch die Kernfrage wird nicht eindeutig beantwortet: Haben Betroffene weniger oder kaum Gefühle, oder können sie diese nur nicht benennen?

Dieser chaotische Eindruck entsteht hauptsächlich, weil die Autoren sich auf bestimmte Aspekte beschränken müssen und nicht alle Facetten der Alexithymie betrachten werden. Leider wird das aber nicht einmal angedeutet. Besonders in den nicht wissenschaftlichen Medien wird stark vereinfacht, ohne entsprechende Hinweise. Oft wird zudem unterschlagen, dass viele Aussagen zur Alexithymie noch Theorien, Hypothesen und Vermutungen sind. Die in wissenschaftlichen Veröffentlichungen zahlreichen Einschränkungen durch Wörter wie „möglich“, „vielleicht“, „scheinbar“ etc., werden in anderen Medien meistens weg gelassen.

Deshalb noch einige Informationen, die vielleicht einige Widersprüche etwas aufhellen.
Im Zusammenhang mit Alexithymie werden manchmal 3 Typen unterschieden:

Typ I
Betroffene haben ein wenig ausgeprägtes Gefühlsleben, wenig Fantasie und sie können ihre Gefühle nur schlecht identifizieren, bewerten und mitteilen. Sie können nicht über ihre Gefühle sprechen und wissen nicht, was sie fühlen.

Typ II
Betroffene empfinden Gefühle, haben aber Schwierigkeiten Gefühle in Worte zu fassen, sie zu identifizieren und zu analysieren. Im Gegensatz zu Typ I haben sie eine gut entwickelte Vorstellungskraft. Unter den Alexithymen mit Typ II sind oft Opfer von sexuellem Missbrauch zu finden.

Typ III
Betroffene können über ihre Gefühle sprechen, Gefühle identifizieren und analysieren, aber ihr Gefühlsleben ist wenig entwickelt und sie haben wenig Fantasie.

Von primärer Alexithymie wird gesprochen, wenn die Alexithymie angeboren, oder durch Erfahrungen oder Ereignisse in der frühen Kindheit entstanden ist. Die Alexithymie ist dann quasi ein Teil der Persönlichkeit.
Wenn die alexithyme Eigenschaften eine ganz bestimmte Ursache haben und nur zeitweise auftreten, wird von sekundärer Alexithymie gesprochen. Solche Ursachen können z.B. traumatische Erfahrungen bei schrecklichen Ereignissen sein.
Im Englischen wird auch von trait alexithymia (primäre Alexithymie) und state alexithymia (sekundäre Alexithymie) gesprochen.

Die sekundäre Form wird in der Regel als "heilbar" betrachtet. Auch bei Formen, die nicht als vollständig "heilbar" gelten, kann nach einigen Quellen zumindest oft erreicht werden, dass Betroffene besser mit der Alexithymie bzw. mit ihren Mitmenschen umgehen können. Mir ist aber z.B. nicht klar, ob eine gestörte Mutter-Kind-Beziehung in den ersten Lebensjahren des Kindes als sekundäre oder als primäre Alexithymie angesehen wird.

Diese Differenzierungen zeigen, dass viele Berichte und Diskussionen über Alexithymie sich nicht unbedingt widersprechen. Aber es ist sehr oft unklar, welcher Aspekt oder Typ betrachtet wird.
Unter dem Begriff Alexithymie ist eine große Bandbreite von unterschiedlichen Persönlichkeitsmerkmalen zusammen gefasst. Diese verschiedenen Merkmale sind jeweils auch noch unterschiedlich stark ausgeprägt.

Betroffene dürfen genau so wenig pauschal einfache Schubladen gesteckt werden, wie nicht Alexithyme. Es versucht ja auch niemand alle Handlungen eines nicht Alexithymen mit einigen wenigen Persönlichkeitseigenschaften bzw. Charakterzügen zu erklären und zu begründen.
Das ist besonders wichtig, wenn online direkt oder indirekt Betroffenen Erklärungen und Hilfestellung gegeben werden soll. Es entstehen sehr leicht falsche Vorstellungen. Es ist ein großer Unterschied, ob der Hilfe suchenden Freundin eines Betroffenen mitgeteilt wird, dass ihr Partner nie Gefühle haben wird, oder ob Möglichkeiten zur Hilfe aufgezeigt werden.


Samstag, 3. Dezember 2011

Warum zieht sich ein alexithymer Partner zurück


In Foren wird oft von nicht alexithymen Partnerinnen geklagt, dass ihre alexithymen Partner sich immer weiter zurück ziehen würden. Das können z.B. immer seltenere Telefongespräche bei getrennt wohnenden Paaren sein, oder immer seltenere Körperkontakte bei zusammen lebenden Paaren.

Ich versuche mal eine mögliche Erklärung aus meiner Sicht, also der Sicht eines alexithymen Mannes.

Auf zumindest einige gefühlsbetonte Frauen wirken alexithyme Männer anziehend. Vielleicht, weil Alexithyme ruhig, ausgeglichen und zurückhaltend wirken. Auf der anderen Seite können gefühlsbetonte Frauen auf alexithyme Männer attraktiv, warmherzig und liebevoll wirken. Im Unterbewusstsein hoffen wahrscheinlich beide Seiten sich gegenseitig zu ergänzen und so voneinander profitieren zu können.

Die Partnerin glaubt vielleicht sogar, dass seine Ruhe auf sie abfärbt und sie sich bei ihm geborgen fühlen kann. Er hofft vielleicht, dass ihre Emotionalität ihm Antrieb gibt. Auf Dauer wird seine Zurückhaltung von ihr zunehmend als Distanz wahrgenommen. Ihre Emotionalität nervt ihn, wenn sie zur ungelegenen Zeit kommt. In guten Zeiten können beide damit umgehen. Man ist eben etwas verschieden, aber dafür hat der jeweilige Partner ja auch seine guten Seiten.

Allerdings ist jeder Mensch manchmal überfordert oder gestresst und fühlt sich unwohl. Ein alexithymer Mann spricht mit seiner Partnerin darüber aber nicht. Sogar wenn er seine Empfindungen bewusst wahrnimmt und richtig deutet, redet er nicht mit ihr darüber. Alleine schon um sie nicht zu beunruhigen. In ihrer Emotionalität macht sie sich sonst Sorgen. Diese Sorgen würden ihn dann wieder zusätzlich belasten, weil sie ihn mit ihren sorgenvollen Gefühlen nerven, ja quasi erdrücken würde. Er versucht deshalb sein Befinden zu verbergen. Das wirkt auf seine Partnerin so, als wäre er noch weniger an ihr und ihren Gefühlen interessiert als sonst.

Wenn sie ihm daraufhin seine Distanziertheit oder sogar Gefühllosigkeit vorwirft, sind diese Vorwürfe für ihn völlig unverständlich. Er will sie ja gerade nicht belasten. Deshalb wird er die Vorwürfe als abwegig abtun. Seine Partnerin fühlt sich noch mehr zurückgewiesen und wird erst recht zu emotionalem Verhalten provoziert. Auf ihn wirkt sie immer theatralischer und nervtötender.

Während sie immer verzweifelter wird, verstärkt er seine Selbstbeherrschung. In seiner Wahrnehmung sieht er ja bei seiner Partnerin, dass Gefühle nur Schaden anrichten. Gleichzeitig versucht er gegenüber seiner Partnerin das jeweilige Verhalten abzustellen, dass sie ihm vorwirft. Er stellt aber nur ganz genau das Verhalten ab, dass sie ihm konkret vorwirft. Z.B. ruft er öfter an, wenn sie ihm vorwirft, zu selten anzurufen. Im Telefongespräch bleibt aber insgesamt weiterhin distanziert bzw. wirkt so, weil er keine Themen für das Gespräch findet, die sie interessieren.

Zug um Zug reagiert sie immer empfindlicher, während er sich genau deshalb immer weiter zurück zieht.

Dabei würde er gerade jetzt in seiner Schwächephase eine Partnerin brauchen, die ihn so liebt und akzeptiert, wie er wirklich ist. Die sich nicht von scheinbarer Ruhe und Stärke beeindrucken lässt. Die ihn quasi durchschaut und ihm Sicherheit und Unterstützung gibt, auch wenn er seine Gefühle nicht preisgibt.

Freitag, 2. Dezember 2011

Überblick über Alexithymie


In den einzelnen Beiträgen habe ich bisher versucht einen mehr oder weniger tiefen Blick auf einzelne Aspekte der Alexithymie zu geben. Ich kann mir vorstellen, dass dabei die Übersicht etwas gelitten hat. Deshalb versuche ich jetzt mal eine Übersicht, in der ich mich auf den meines Wissens unumstrittenen Wissensstand beschränke. Ich setze dabei die Begriffe Gefühl und Emotion gleich. Basis ist ein Beitrag des Teilnehmers Protsi im Forum auf alexithymie.org den ich vor Kurzem gefunden habe.

Der Begriff:

Alexithymie ist der Name für bestimmte Perönlichkeitsmerkmale von Menschen. Alexithymie ist keine Krankheit und für sich alleine kein Problem. Übersetzen kann man Alexithymie mit "Nicht-lesen-können der Stimmung". Alle Menschen neigen dazu, manche eigenen Gefühle zu unterdrücken oder Gefühle bei sich selbst oder bei anderen falsch einzuschätzen. Die Grenzen, wie stark diese Neigung ausgeprägt ist, sind dabei sind fließend. Von Alexithymie wird erst dann gesprochen, wenn das Unterdrücken oder die Fehleinschätzung von Gefühlen ein bestimmtes Ausmaß überschreitet. Ansonsten wären alle Menschen von Zeit zu Zeit alexithym. Ob ein Mensch alexithym ist, kann z .B. mit der Toronto Alexithymie Skala (TAS) ermittelt werden.

Der Inhalt:

Eine alexithyme Bearbeitung des eigenen Innenlebens bedeutet nicht, dass man gar keine Gefühle hat. Es kann dem Betroffenen oder seinen Angehörigen jedoch so vorkommen.

Menschen ohne irgendeine Emotion haben eine schwere neurophysiologische Störung, eine komplette Athymie. Sie sind völlig unfähig, irgendeine Entscheidung zu treffen. Jede menschliche Entscheidung braucht mindestens ein Stückchen Emotion als Grundlage. Egal wie logisch überdacht die Entscheidung ist. Athymie kommt selten vor und ist in der Regel mit einem Hirnschaden verbunden. Die Unfallopfer erstarren in einer endlosen logischen Schleife. Sie analysieren immer wieder ihr weiteres Vorgehen, ringen sich aber nie dazu durch etwas zu tun. Der Hungrige sitzt vor seinem Essen und stirbt nach ein Paar Tagen vor Durst und Hunger.

Menschen die eigene Emotionen überhaupt nicht wahrnehmen, haben die schwerste Form der Psychopathie. Die Emotionen sind im Psychopathen zwar da, sie werden aber nicht als solche erkannt. Die meisten Psychopathen sind nicht so schwer betroffen. Sie können vieles wahrnehmen, schalten aber die unangenehmen, bestrafenden Emotionen eher aus und können sich nicht in andere Menschen versetzen. Sie machen, wozu sie Lust haben, agieren instinktiv, ohne emotionelle Rücksicht, ohne Empathie.

Alexithymie ist etwas zwischen Athymie und Psychopathie. Alexithyme Menschen haben Emotionen. Manche Alexithyme nehmen Gefühle sogar sehr gut wahr, sowohl bei sich selber, als auch bei anderen. Das Wahrnehmungsspektrum ist jedoch enger und die Grenzen zwischen unterschiedlichen Emotionen sind viel verschwommener als bei den meisten Menschen.

Wo die meisten Menschen einen Regenbogen an Gefühlen wahrnehmen, nehmen Alexithyme einen flackernden, grauen Streifen wahr. Statt Zorn, Eifersucht, Angst usw., nehmen sie etwas war, von dem sie nicht wissen, ob es unangenehm, irritierend oder lustvoll ist. Es ist ihnen unklar. Vielleicht ist da etwas, vielleicht ist da aber auch nichts.

Der bewusste Zugang zu ihrer eigenen Befindlichkeit ist bei Menschen mit Alexithymie herabgesetzt. Sie spüren oft, dass etwas in ihnen vor sich geht, können es aber nicht präzise beschreiben. Sie merken oft körperliche Veränderungen, z.B. Herzrasen, Schwitzen, schnellerer Atem, wissen aber oft nicht, warum diese Veränderungen vor sich gehen. Herzrasen, Schwitzen und einen schnelleren Atem hat man beim Sport, bei Angst, bei Wut. Manchmal auch bei Verliebtheit, Lust oder Hunger.

Alle Menschen haben manchmal körperliche Symptome, die sie nicht zuordnen können. Bei Alexithymen ist das einfach ausgeprägter. Wenn sie sich selbst auf emotioneller Ebene aber nicht so gut kennen, fällt es ihnen umso schwerer, sich auf der emotioneller Ebene der Mitmenschen zu Recht zu finden. Deshalb ist ihre Empathie herabgesetzt.

Die Auswirkungen:

Meistens erkennen Alexithyme einige einfache und starke Emotionen. Die meisten Gefühle und vor allem die feineren Gefühle gehen quasi verloren. Wel Alexithyme bei sich nur die Emotionen erkennen, die für sie spezifisch sind, verlieren Gefühle in ihrem Leben an bewusster Bedeutung. Alexithymie können durchaus wissen, dass sie oder andere bestimmte Gefühle haben. Für sie sind diese Gefühle aber nicht besonders wichtig. Unbekannte Gefühle sind für Alexithyme oft sogar störend. Besonders über Gefühle zu reden, fällt Alexithymen schwer. Gefühle sind in ihren Augen unwichtig. Deshalb lohnt es nicht über Gefühle zu reden oder bei den anderen nach Gefühlen zu suchen.

Mit dem begrenzten inneren Verständnis für Gefühle sinkt auch die Empathie für andere. Aus Sicht eines Alexithymen sind sehr viele alltägliche Verhaltensmuster sinnlos. Weil sie z.B. bei Kontakten keine positiven, emotionalen Bindungen spüren, besteht für sie auch kein Anreiz Kontakte zu pflegen. Kontakte bringen für sie keine Belohnung.

Die Ursachen:

Die Veranlagung zur Alexithymie kann angeboren sein. Alexithymie kann aber auch erlernt werden. Entweder lernt ein Mensch erst gar nicht die eigenen Emotionen wahrzunehmen, oder er verlernt diese Wahrnehmung aufgrund von unangenehmen Erlebnissen. In beiden Fällen scheint die frühe Kindheit sehr wichtig zu sein. Wenn ein Kind die gezeigten Gefühle der Eltern, z.B. Lächeln der Mutter beim Stillen, nicht mit dem eigenen Befinden spiegeln kann, z.B. Wohlbefinden und Sättigung, kann das Kind alexithym werden. Wenn ein Kind aus seiner Sicht ständig unangenehmen emotionellen Reizen ausgesetzt wird, kann es aus Selbstschutz alexithym werden. In beiden Fällen wird Alexithymie zu einem wichtigen Merkmal der eigenen Persönlichkeit.

Mögliche Folgen:

Einige mögliche Merkmale der Alexithymie entsprechen Merkmalen, die auch bei Autismus auftreten. Dazu gehören das wörtliche Verstehen des Gesagten, feste Verhaltensweisen, das Kopieren von Aussagen oder Tätigkeiten anderer Menschen und der Fokus auf die eigene, innere Welt.

Emotionen, die nicht wahrgenommen werden, äußern sich oft trotzdem auf der körperlichen Ebene. Das kann zu psychosomatischen Beschwerden führen, z.B. Herzrasen, Verdauungsbeschwerden, Schlaflosigkeit usw. Obwohl Alexithyme ihre Gefühle schlecht erkennen, können sie psychische Störungen entwickeln, wie Depressionen. Wenn man etwas nicht sehen kann sind die Auswirkungen fast genau so, wie die Auswirkungen wenn man etwas nicht sehen will.

Alexithyme sind of besonders realistisch. Selbst wenn sie sich mit ihrer inneren Welt beschäftigen, ist ihre innere Welt sehr nahe an der Realität. Ohne viel Bezug zu Gefühlen, wird auch nicht viel fantasiert. Das Leben besteht aus schlafen, essen, waschen, arbeiten. Alexithyme träumen oft gar nicht, oder ihre Träume sind sehr realitätsnah. Sie träumen z.B. dass sie in ein Geschäft gehen, Schuhe kaufen und danach Burger essen gehen.

Der Sextrieb ist manchmal gering ausgeprägt, weil Sex mit Fantasien verbunden ist. Mit Suchtverhalten, z.B. Alkoholmissbrauch, werden manchmal gefühlsähnliche Reize durch künstliche Einwirkung gesucht.

Häufigkeit:

Alexithymie betrifft in unterschiedlich starker Ausprägung ca. 10% aller Menschen. Zeitweise können sogar alle Menschen auf diese Weise ihre Emotionen bearbeiten. Bei diesen 10% ist es jedoch deutlicher.

Therapie:

Es ist eine philosophische und psychotherapeutische Grundsatzfrage, ob man etwas therapieren kann, darf und soll, das die Betroffenen nicht stört und die Umgebung nicht wirklich gefährdet.
Je nach Ursache der Alexithymie gibt es Ansätze den Betroffenen mehr Zugang zu Gefühlen zu vermitteln. Das kann z.B. geschehen, indem bestimmte Ereignisse und die körperlichen Reaktionen darauf bewusst herbei geführt und beobachtet werden.

Donnerstag, 1. Dezember 2011

Gefühle für Anfänger


Auf der Webseite von Kali Munro, einem Psychotherapeuten aus Toronto, habe ich endlich mal eine für mich verständliche Einführung in die Welt der Gefühle und die Bedeutung zugehöriger Begriffe gefunden.

Zunächst unterscheidet er zwischen primären und sekundären Emotionen. Primäre Emotionen sind Betroffenheit (Traurigkeit), Wut (Ärger), Furcht (Angst), Freude und sexuelle Gefühle. Andere Emotionen sind Kombinationen dieser primären Emotionen. Schuld ist z.B. eine Kombination aus Furcht und Ärger. Dabei können die einzelnen primären Emotionen unterschiedlich gewichtet sein. Man kann sich hauptsächlich ängstlich und etwas wütend fühlen, aber auch hauptsächlich wütend und nur leicht ängstlich. Scham ist eine Kombination aus Betroffenheit und Furcht. Eifersucht ist eine Kombination aus Betroffenheit und Ärger.

Jede primäre Emotion erzeugt körperliche Empfindungen. Man fühlt seine Gefühle mit dem Körper. Die körperlichen Empfindungen zu verstehen, hilft also zu verstehen, wie man sich fühlt.

Emotion Körperstelle Mögliche Empfindungen
Betroffenheit Kehle, Brust, Bauch Kloß, einengender Druck, Schmerzen, Leere
Wut Nacken, Kopf, Schultern, Arme, Hände Anspannung (? Ropes of tension), Kloß, Herzklopfen an den Schläfen spüren, verkrampfte Kiefer, drawn in tight, blocky, held back, curled
Furcht Bauchgegend, Kopf, Gesicht, Brust, Kehle Schmetterlinge, Fluttering, Clutching, heavy ball dizziness (dizziness = Schwindel), Kurzatmigkeit, Anspannung um Augen und Mund, trockener Mund
Freude Brustbereich, Augen, Körpervorderseite Spacious (weitläufig ?), expensive (aufwendig), begeistert, clarity (Reinheit?), bubbling (siedend?), inneres Kichern (innere Albernheit)
Sexuelle Gefühle Geschlechtsteile, unterer Bauch, Körpervorderseite Streaming, Sattheit, good achy (achy = schmerzhaft), Wärme


Schon die reine Anzahl an unterschiedlichen Umschreibungen erstaunt mich. Einige Ausdrücke konnte ich nicht sinnvoll übersetzen. Einiges liegt wahrscheinlich an speziellen Redewendungen, die ich nicht kenne. Vielleicht ist das aber auch ein Hinweis auf mein reduziertes Gefühlsleben.