Sonntag, 1. November 2009

Tabus


Für ein zentrales Merkmal gefällt mir der Begriff Tabu. Tabu nicht in dem heutigen Gebrauch als lockeres, gesellschaftliches Tabu, das nur darauf wartet gebrochen zu werden. Tabu im ursprünglichen Sinn, als es intuitiv klar war, dass ein Tabu auf keinen Fall gebrochen werden darf, weil sonst die Welt in Unordnung gerät. Das Tabu stellt für mich aber keine Einschränkung, Bedrohung etc. dar, sondern ist ein Teil von mir.

Eine Interpretation solcher Tabus ist, dass Alexithyme z.B. nicht über die eigenen Gefühle sprechen, weil sie glauben, dass z.B. nur die eigene Mutter das Recht hätte, über diese Gefühle zu sprechen. Diese Deutung ist aus meiner Sicht falsch bzw. trifft bei mir nach meiner Einschätzung nicht zu.

Ich weiß nicht, warum diese Tabus existieren. Für einzelne Tabus könnte ich eine mögliche Entwicklungsgeschichte schreiben, wie sie sich aus kleinen Anfängen entwickelt haben. Aber es wäre keine wirkliche Erklärung, warum ein solches Tabu sich bei mir entwickelt hat und bei anderen Menschen nicht.

Ich weiß, dass ich das Tabu brechen könnte, wenn ich wirklich wollte. Es geht aber trotzdem höchstens unter großen inneren Widerständen. Der Tabubruch an sich ist nicht das Problem, sondern die möglichen Reaktionen der Anderen. Eine bestimmte Verhaltensweise ist eingebrannt, man kennt mich so. Ich weiß nicht, was passieren würde, wenn ich mich anders verhalten würde. Ich würde mich unwiderruflich verändern.

Ein solches Tabu ist, nicht über den eigenen aktuellen Gefühlszustand zu sprechen. Natürlich kann ich darüber sprechen, ob es mir gut oder schlecht geht etc. Aber das sind oberflächliche Begriffe. Trotzdem ist die Antwort häufiger „normal“, als „gut“ oder „schlecht“. Die wirklichen Gefühle und vor allem die Gründe für diese Gefühle sind tabu.

Wären meine Gefühle für andere vielleicht lächerlich? Würden sie zu ernst genommen? Würde ich wirklich sagen, was ich sagen will? Würde ich jemanden beleidigen? Würde ich falsch verstanden werden? Wäre das jahrelange Tabu unsinnig gewesen? Würde ich Aufmerksamkeit erregen?

In entsprechenden Gesprächssituationen gehen solche Fragen rasend schnell immer wieder durch den Kopf. Bevor die Fragen entschieden sind, ist die Situation meistens vorbei, weil ein Gesprächspartner das Wort ergreift.

Wenn unbedingt eine Antwort erwartet wird, sind Psychologen und psychologisch angehauchte Gesprächspartner hilfreich. Durch Suggestivfragen zeigen sie quasi den Weg, wie man am Geschicktesten antwortet. Man muss nur aufpassen, dass das Bild nicht zu falsch wird. In der Regel kommt ein gerade noch akzeptabler Kompromiss heraus. Aber so richtig verstanden fühlt man sich nicht.

Schwierig wird es, wenn die Gesprächspartner geduldig auf eine Antwort warten. Der Druck etwas preis zu geben wird unter Umständen extrem hoch. Aber es gibt keine Orientierung, wie eine akzeptable Antwort aussehen könnte. Die ehrliche Antwort verletzt vielleicht den Gesprächspartner, die nicht verletzende Antwort ist vielleicht zu weit von der Wahrheit entfernt.

Ein Tabu in Aktion ist ein seltsames Gefühl. Auf der einen Seite spürt man, dass ein ganz kleiner Schritt, ein einfaches Tun, das Tabu überwindet und die ganze Situation entspannt oder erleichtert. Auf der anderen Seite steht man vor einem fast unüberwindlichen Berg. Dabei spürt man ganz deutlich, dass Problem und Lösung in einem selbst liegen. Man versucht evtl. Anderen die Schuld zu geben, weiß aber, dass der Knoten in einem selbst platzen muss.

So baut sich mit der Zeit aufgrund von Erfahrungen bzw. Erlebnissen ein Tabu auf, das kaum noch zu brechen ist.

Ich vermute, man sieht schon an diesem Text die Schwierigkeit sich so auszudrücken, dass man richtig verstanden wird.

Sonntag, 6. September 2009

Anlaufstellen für Hilfesuchende


Kostenlose Beratung und Hilfe bei konkreten persönlichen Krisen und familiären Problemen bieten z.B. die Beratungsstellen von Wohlfahrtsverbänden, z.B. der Caritas, die an vielen Orten zu finden sind.
Bei Bedarf werden auch längerfristige Betreuungen durchgeführt, indem z.B. einmal pro Monat ein Gesprächstermin durchgeführt wird. Psychologen moderieren Einzelgespräche und Gespräche mit der Familie, bei denen Probleme angesprochen und Lösungen gesucht werden können.

Ansprechpartner bei Unterstützungsbedarf konkret zum Thema Alexithymie sind Psychologen, Psychotherapeuten und Psychiater.
Die Unterschiede zwischen Psychiatern, Psychologen, Psychotherapeuten usw. werden auf der Seite http://www.bdp-verband.org/psychologie/psytherapie.shtml gut erklärt.

Die Seite http://www.neurologen-und-psychiater-im-netz.de/ enthält umfangreiche grundsätzliche Erklärungen zu Gehirn und Nervensystem, stellt Therapieformen vor usw.

Viele Informationen gibt auch die Bundes Psychotherapeuten Kammer auf ihrer Webseite in der Rubrik Patienten http://www.bptk.de. Dort steht z.B. was Krankenkassen zahlen, wie entsprechende Anträge bei der Krankenkasse gestellt werden, wie geeignete Psychotherapeuten gefunden werden können usw.

Es bieten auch einige Heilpraktiker entsprechende Dienstleistungen an. Für Heilpraktiker gibt es keine staatlich geregelte Ausbildung, nur die Zulassung ist staatlich geregelt. Der Hilfesuchende sollte sich über die absolvierte Ausbildung des Heilpraktikers informieren und sie kritisch hinterfragen. Das Therapieangebot der Heilpraktiker richtet sich in aller Regel an Selbstzahler und Privatversicherte mit entsprechender Leistungsvereinbarung in ihrem Versicherungsvertrag, da Heilpraktiker keine Kassenzulassung erhalten.

Mich persönlich überzeugt die wissenschaftlich begründete Schulmedizin allerdings mehr, als andere Heilverfahren. Von sogenannter Alternativmedizin mit ihren angeblich natürlichen, biologischen oder ganzheitlichen Methoden halte ich gar nichts.

Dienstag, 11. August 2009

Informationsquellen


Einen erfreulich unaufgeregten Artikel über Alexithymie hat der Tagesanzeiger Zürich auf seinen Webseiten:
http://www.tagesanzeiger.ch/mobile/wissen/medizin-und-psychologie/Wenn-Menschen-mit-Gefuehlen-nichts-anfangen-koennen/s/14521953/index.html

Umfangreicher, aber schon etwas diskussionswürdiger, schreibt die Zeit auf:
http://www.zeit.de/zeit-wissen/2006/02/Gefuehllose

Viele Informationen bietet ein Artikel der FU-Berlin:
http://www.fu-berlin.de/presse/publikationen/fundiert/2008_01/08_01_lebort/index.html

Diese Artikel bieten eine gute Einführung in das Thema. Die Aussagen dürfen natürlich nicht auf die Goldwaage gelegt werden. Auch hier finden sich Pauschalisierungen, wie „Die Betroffenen können keine Freude, Liebe, Wut, Enttäuschung oder Angst wahrnehmen.“ Einige Erklärungen, Folgerungen etc. sind nicht so gesichert, wie es in den Artikeln scheint. Aber immerhin sind oder waren sie in Medizin und Wissenschaft in Diskussion.

Die Artikel heben sich auf jeden Fall deutlich von der Masse ab.

Die Dissertation „Psychophysiologische Reaktionsmuster bei Alexithymie –
Studie zur Bedeutung der Entkopplungshypothese bei Patienten mit
anhaltender somatoformer Schmerzstörung“ von Karen Anne Kramer enthält eine gute Zusammenfassung der medizinischen bzw. wissenschaftlichen Entwicklung und der aktuellen Diskussion zur Alexithymie:
http://hss.ulb.uni-bonn.de/diss_online/med_fak/2006/kramer_karen/kramer.htm


Das Gleiche gilt für die Dissertation „Neurophysiologische Korrelate der Alexithymie
eine experimentelle Studie unter Nutzung der transkraniellen Magnetstimulation“
von Bertram Möller:
http://ub-ed.ub.uni-greifswald.de/opus/volltexte/2006/143/
Dort finden sich in den wertenden Schlusskapiteln auch kritische Hinweise zum aktuellen Forschungsstand.

Beide Dissertationen richten sich natürlich nicht an medizinische Laien, sind aber in den genannten Auszügen gut lesbar und verständlich.

Einige interessante Hinweise geben auch "Alexithymie und Anhedonie bei psychosomatischen Patienten - eine klinische Untersuchung" von Andreas Krüger und "Vom Affekt zum Mitgefühl: Entwicklungspsychologische und neurowissenschaftliche Aspekte der emotionalen Regulation am Beispiel der Alexithymie." von Matthias Franz.

Die genannten Schriften sind oder waren im Internet frei erhältlich.

Die aus meiner Sicht beste Informationsquelle ist das englischsprachige Buch "Emotionally Dumb: An Introduction to Alexithymia" von Jason Thompson. Ich habe das Buch für wenige Euro im Internet bestellt. Am nächsten morgen hatte ich das Buch vom Autor direkt als PDF-Datei im Mailbriefkasten. Das Inhaltsverzeichnis und einzelne Kapitel können im Internet mit einer Suchmaschine gefunden und gelesen werden.

Montag, 6. Juli 2009

Weitere Merkmale


Zusätzlich zu den 4 typischen Merkmalen existieren weitere Merkmale, die nach den jeweiligen Quellen für Alexithymie typisch sind. Auch diese Merkmale können unterschiedlich stark ausgeprägt sein bzw. sie sind nicht immer vorhanden.

Ich führe nur solche Merkmale auf, die aus Quellen stammen, die ich als glaubwürdig betrachte.

Einige Merkmale tauchen mehrfach in ähnlicher Form auf. Ich führe sie mehrfach auf, weil auch leicht unterschiedliche Formulierungen evtl. das Verstehen erleichtern. Zudem besteht die Möglichkeit, dass sich Unterschiede dahinter verbergen, die ich nicht erkenne.
Ich verstehe nicht alle Formulierungen. Ich kann z.B. nur vermuten, was mit einer konkreten bzw. nicht konkreten Denkweise gemeint ist. Was dumpfe und unstrukturierte Gefühle sind, ist mir ganz unklar. Hinter solchen Formulierungen steht ein (?). Meine Selbsteinschätzung steht wieder in Klammern.

Alexithyme

  • erinnern sich selten an Träume (stimmt genau)

  • haben logische und realistische Träume, z.B. Einkaufen und Essen (stimmt)

  • haben selten Tagträume (stimmt)

  • haben wenig Phantasie (hängt davon ab, was man Phantasie nennt)

  • haben eine eingeschränkte Vorstellungskraft (?)

  • sind wenig kreativ (siehe Phantasie)

  • haben eine konkrete, realistische und logische Denkweise, die häufig emotionale Antworten auf Probleme ausschließt (stimmt)

  • neigen dazu, Gefühle durch Handlungen auszudrücken oder Konflikte durch Handlungen zu entschärfen (kann sein)

  • verhalten sich sozial angepasst (stimmt, wenn damit Zurückhaltung, Unauffälligkeit etc. gemeint sind)

  • haben eine steife, hölzern wirkende Körperhaltung (glaube nicht)

  • haben eine verarmte Mimik, um Emotionen zu zeigen (glaube nicht)

  • entwickeln Körperbeschwerden als Reaktion auf emotionale Beziehungskonflikte (trifft nicht zu)

  • haben Probleme beim Erkennen der Gefühle der Mitmenschen (kann sein)

  • sind bei körperlichen Empfindungen verwirrt, besonders beim Auftreten von Emotionen (trifft nicht zu)

  • sind nach Wutausbrüchen, depressiven Stimmungen etc. in der Regel nicht in der Lage, ihre Gefühle dabei zu beschreiben bzw. sie sind irritiert über Fragen nach ihren genauen Gefühlen dabei (stimmt)

  • erleben Gefühle als dumpf und unstrukturiert (?)

  • können Gefühle nicht mit Worten beschreiben (fällt zumindest schwer)

  • nehmen Gefühle undifferenziert wahr (?)

  • schließen höchstens indirekt aus der Reaktion von anderen auf ihre eigene Verfassung (möglicherweise manchmal)

  • verhalten sich hölzern und steif (trifft nicht zu)

  • sprechen hölzern und steif (trifft nicht zu)

  • sprechen wenig einfallsreich, sondern eher farblos und trocken (ich würde es sachlich nennen)

  • haben eine handlungsorientierte Einstellung (?)

  • binden sich eng an einen Partner, um sich nach außen abzusichern bzw. als Rückversicherung, ob sie sich richtig verhalten. Z.B. dadurch, dass sie das Verhalten des Partners spiegeln (Bindung stimmt, die Begründung ist eher fraglich)

  • sind abhängig von Harmonie, um ihr leiblich-seelisches Gleichgewicht und die Zuwendung des Partners aufrecht zu erhalten (?)

  • sind (über-)angepasst an gesellschaftliche Normen und Regeln (stimmt, wenn damit Beachtung von Gesetzen etc. gemeint ist)

  • haben eine sozial eingeschränkte Kompetenz, weil sie emotional relevante Reize bei sich und ihrem Umfeld nicht wahrnehmen können und deshalb nicht angemessen reagieren (stimmt vermutlich)

  • erwarten nicht viel von anderen Menschen (stimmt)

  • sind nicht besonders daran interessiert die Erwartungen anderer Menschen zu erfüllen (stimmt)


  • Sonntag, 7. Juni 2009

    Vorteile


    Es gibt eine Reihe vorteilhafter Charakterzüge, die bei Alexithymen ausgeprägter sind, als bei nicht Betroffenen. Leider werden die Vorteile selten erwähnt werden (in Klammern wie ich mich einschätze):

  • Sagen ihre Meinung (stimmt, auch wenn das manchmal Nachtteile bringt)
  • Zuverlässigkeit (stimmt)
  • Achten auf Details (stimmt)
  • Ordnungssinn (moderat, aber zu unordentlich darf es nicht sein)
  • Ausdauer (bei Dingen die mich interessieren)
  • Geduld bei interessierenden Themen (aber nicht immer)
  • Loyalität (stimmt)
  • Empfindsamkeit für körperliche Reize, wie hören, fühlen, sehen, riechen (normal)
  • Können sich bestimmte Dinge gut merken, wie Namen, Daten, Pläne, Routineabläufe (stimmt höchstens für Gesprächsabläufe)
  • Für bestimmte Spiele und Sportarten begabt (habe wohl noch nicht das richtige gefunden)

  • Meine eigene Einschätzung bzgl. dieser Merkmale beruht auf Rückmeldungen, die ich von anderen Menschen in privaten und beruflichen Situationen erhalten habe.

    Mir wird immer wieder bestätigt, dass ich gute analytische Fähigkeiten habe und dass ich pragmatisch und zuverlässig bin. Normalerweise gelte ich als ruhig und besonnen. Es haben sich schon einige langjährige Bekannte verwundert gezeigt, wenn ich mal „aus mir heraus gegangen“ bin, weil sie mich so nicht kannten.

    Für diese positiven Eigenschaften nehme ich ein paar damit untrennbar verbundene negative Eigenschaften gern in Kauf. Ich bin mit meinen Stärken und Schwächen ganz zufrieden.

    Es sind Eigenschaften, die wertvoll sind. Viele andere Menschen hätten diese Eigenschaften gerne. Betroffene sind nicht minderwertig, sondern unterscheiden sich von Anderen. Die Unterschiede können nützlich und vorteilhaft sein. Alexithyme haben Stärken und Schwächen. Sie können sich so akzeptieren, wie sie sind. Sie müssen sich nicht von Anderen Minderwertigkeitskomplexe und Krankheiten einreden lassen.

    Auch Menschen ohne Alexithymie haben übrigens nicht nur gute, sondern auch negative Eigenschaften. Auch diese Menschen leben nicht in einem Paradies ohne Probleme.

    Menschen, die auf mich sehr emotional wirken, waren für mich schon immer fast genau das Gegenteil zu den Eigenschaften oben. Je emotionaler Menschen sich geben, desto:

  • Heuchlerischer sind sie
  • Unzuverlässiger sind sie
  • Oberflächlicher sind sie
  • Unordentlicher sind sie
  • Sprunghafter, flatterhafter sind sie
  • Schneller verlieren sie ihr Interesse
  • Weniger loyal sind sie

  • Einige Enttäuschungen könnten also auf einer vollkommen unterschiedlichen Gefühlswahrnehmung beruhen.

    Interessant sind in diesem Zusammenhang Ergebnisse einer Studie, nach der Betroffene von anderen wenig erwarten und ihrerseits nicht sonderlich daran interessiert sind, die Erwartungen anderer zu erfüllen.

    Natürlich ist diese Bewertung besonders gefühlvoller Menschen pauschal. Es rückt die Verhältnisse aber in ein besseres Licht und macht hoffentlich deutlich, wie stark viele Aussagen vom Standpunkt abhängen und wie pauschal und einseitig viele Aussagen über alexithyme Menschen sind.

    Richtiger ist die Formulierung: Unter den scheinbar nicht alexithymen Mitmenschen gibt es eine Gruppe, die auf mich heuchlerisch, unzuverlässig usw. wirkt und von der ich mich gerne fern halte, weil es auf Dauer zu Missverständnissen, Problemen, Konflikten, Streit etc. kommt.

    Mittwoch, 3. Juni 2009

    Was ist Alexithymie?


    Die Bezeichnung Alexithymie ist aus griechischen Wörtern bzw. Silben zusammen gesetzt:
    A = Verneinung, Hinweis auf einen Mangel
    Lexis = Sprechen, Wort
    Thymos = Gemüt, Gefühl

    Deutsche Übersetzungen sind z.B.:
    Ohne ein Wort für Gefühl
    Nicht Lesen können von Gefühlen

    Alexithyme Menschen haben also Schwierigkeiten, Gefühle wahrzunehmen, zu verstehen und Worte für Gefühle zu finden.

    Es gibt eine Vielzahl von Aufzählungen der wesentlichen Merkmale von Alexithymie. Teilweise stellt sich der Eindruck ein, als hätten die Autoren keine geeigneten deutschen Übersetzungen bei verwendeten englischen Texten gefunden. So werden z.B. bodily sensations zu körperlichen Sensationen. Möglicherweise ist das auch der jeweiligen Fachsprache geschuldet. Erfreulicherweise gibt es Autoren, die das Verständnis erleichtern, indem sie von körperlichen Empfindungen schreiben.

    Es wurden 4 charakteristische Merkmale für Alexithymie definiert. Ich gebe die Merkmale so wieder, wie sie meinem Verständnis unterschiedlicher Quellen entsprechen:

    1.Schwierigkeiten, Gefühle zu erkennen und diese von körperlichen Empfindungen zu unterscheiden, die durch emotionale Erregung hervorgerufen werden (difficulty identifying feelings and distinguishing between feelings and bodily sensations of emotional arousal)
    2.Schwierigkeiten, die eigenen Gefühle gegenüber Anderen zu beschreiben (difficulty describing feelings to other people).
    3.Reizgebundene, realitätsorientierte, faktenzentrierte Denk- und Sprechweise, mit wenigen emotionalen Komponenten (stimulus-bound, externally oriented cognitive style).
    4.Eingeschränkte Vorstellungskraft, die sich z.B. in einem Mangel an Phantasie äußert (constricted imaginal processes, as evidenced by a paucity of fantasies).

    Punkt 1. bereitet mir Verständnisprobleme.
    Klar ist, dass nicht aussagt wird, dass alexithyme Menschen keine Gefühle haben. Sie erleben auch emotionale Ausbrüche, z.B. Wut. Sie erkennen aber häufig Ursache und Qualität nicht.

    Ich verstehe auch, dass Alexithyme bei körperlichen Empfindungen die Ursache in der Regel nicht bei bestimmten Gefühlen suchen, sondern äußere Gründe anführen. Sie weinen nicht aus Rührung, sondern weil eine Tränendrüse entzündet ist usw.

    Ich verstehe aber den Unterschied nicht zwischen Gefühlen und „körperlichen Empfindungen, die durch emotionale Erregung hervorgerufen werden“ bzw. was damit ausgesagt werden soll. Ich dachte, Gefühle sind körperliche Empfindungen, die durch emotionale Erregung hervorgerufen werden.

    Punkt 2. ist einfacher. Wenn ich ihn nicht total falsch verstehe. Aber schon die Schwierigkeiten bei Punkt 1. belegen, dass Probleme bei der Beschreibung von Gefühlen auftreten.

    Punkt 3. verstehe ich so, dass der Anstoß über ein Thema nachzudenken oder zu sprechen, praktisch immer von Außen aus der realen Welt kommt. Es wird in der Regel auf äußere Einflüsse reagiert. Es wird nicht über die eigene (Gefühls-)Welt nachgedacht oder gesprochen.

    Punkt 4. bedeutet nach meinem Verständnis, dass auch die Phantasie immer auf Realitäten aufbaut. Diese Realitäten werden variiert und evtl. weiter durchdacht. Es treten aber keine spontanen, überraschenden Wendungen auf.
    Träume sind z.B. sehr konkret. Es wird oft sehr detailliert geträumt, z.B. über tägliche Erlebnisse oder Gewalt. Traumelemente wie Symbole, Verdichtungen(?) und Verdrängungen(?) (symbolization, condensation, and displacement) fehlen. Typische Träume sind „Auto waschen”, „Lebensmittel kaufen“ usw.

    Diese und nur diese 4 Merkmale sind als Eigenschaften der Alexithymie definiert. Sie sind die entscheidenden Kriterien, anhand derer geprüft wird, ob Alexithymie vorliegt. Es sind jedoch keine Merkmale, die eindeutig vorliegen, oder nicht vorliegen. Die Merkmale sind bei unterschiedlichen Personen verschieden stark ausgeprägt. Auch bei nicht alexithymen Menschen treten diese Charakterzüge von Zeit zu Zeit auf.

    Alexithyme erleben diese Züge aber oft sehr stark und fast ständig. Dadurch werden das persönliche und das soziale Erleben eingeschränkt. Auf andere Menschen wirken Alexithyme teilweise emotions- bzw. gefühllos. Alexithyme wiederum haben Schwierigkeiten, die Emotionen und Gefühle ihrer Mitmenschen richtig zu deuten. Hierdurch können leicht zwischenmenschliche Konflikte und Missverständnisse entstehen.

    Ein häufiges Missverständnis ist, dass Alexithyme Gefühle grundsätzlich nicht verbal ausdrücken können und das sie nicht einmal anerkennen, dass sie Gefühle haben. Schon früh fiel Medizinern auf, dass Alexithyme ängstlich sein können, Depressionen haben können usw. Betroffene können diese Gefühle aber, über einige wenige Adjektive hinaus, nicht ausführlich beschreiben.

    Entscheidend ist, dass Alexithyme ihre Gefühle kaum differenziert erleben. Das schränkt ihre Möglichkeiten stark ein, ihre Gefühle auseinander zu halten und zu beschreiben. Sie erleben sich deshalb von ihren Gefühlen abgeschnitten und haben Probleme, Beziehungen zu anderen auf zu bauen. Alexithyme haben oft Schwierigkeiten, positive Gefühle zu erleben.

    Sonntag, 31. Mai 2009

    Die (Web-)Öffentlichkeit


    Wer im Web nach dem Begriff Alexithymie sucht, findet die abenteuerlichsten Aussagen. Da ist in Foren die Rede von Psychopathen, die weggesperrt werden müssen. Auch von einem Vormarsch der „Mutanten“, der verhindert werden müsse, ist zu lesen.

    Da werden Menschen, die aufgrund von Unfällen bestimmte Gehirnschäden aufweisen und in der Folge jähzornig, unberechenbar und pflichtvergessen sind, als emotionslos und unerhört distanziert bezeichnet. Das wird dann gefühlsblind genannt. Und weil solche Menschen in theoretischen Fragestellungen antworten, einen ihnen bekannten Menschen zu opfern, wenn sie dadurch mehrere Unbekannte vor dem Tod retten können, wird ein Tötungsimpuls unterstellt, der Realität werden kann. Auch wenn in der vollständigen Argumentation, die ich stark auf das Wesentliche verkürzt habe, die Halbwahrheiten, Argumentationssprünge, Widersprüche usw. leicht erkennbar sind, kommt bei mir an:
    Gefühlsblinde Menschen sind in den Augen vieler Mitmenschen potenzielle, eiskalte Mörder.

    Viele Webseiten betrachten Alexithymie aus wissenschaftlicher Sicht. Zahlreiche Studien sind zu lesen, zumindest als Zusammenfassung. Dort geht es oft um Details. Es gibt z.B. viele Studien über den Zusammenhang zwischen speziellen Verhaltensweisen und Hirnaktivitäten, die auf Untersuchungen mit Kernspintomographen beruhen.
    Ob Kernspintomographen bei komplexen Vorgängen wirklich aussagekräftig sind und ob wirklich alle Hirnaktivitäten gemessen werden, ist umstritten. Solche Studien können deshalb Hinweise geben, dürfen aber auch nicht als ultimative Wahrheit angesehen werden.

    Glücklicherweise gibt es auch ein paar Seiten, auf denen nicht Betroffene versuchen sich fair mit dem Thema auseinander setzen, abseits von wissenschaftlichen Interessen. Dazu gehören reine Informationen, z.B. auf Gesundheitsseiten, Beiträge bei einigen Nachrichtenportalen und Foren, die sich an Betroffene und nicht Betroffene richten. Aber auch auf solchen Seiten werden die Dinge in erster Linie aus der Sicht von nicht Betroffenen betrachtet. Betroffene werden mehr oder weniger stark ausschließlich als Problemfälle dargestellt. Selbst wenn Alexithyme dort auftreten, geht es in der Regel um Selbstvorwürfe.

    Die so genannten Medien müssen möglichst spektakulär berichten, um Aufmerksamkeit zu erregen. Dort gibt es deshalb in der Regel Beschreibungen, bei denen mir nicht klar ist, ob es diese Fälle in dieser Form überhaupt gibt, oder ob es sich um dramatische Überhöhungen oder sogar Missverständnisse handelt.

    Es ist positiv, dass das Thema bekannt gemacht wird. Auf der anderen Seite haben gerade diese Extremdarstellungen bei mir viele Jahre bewirkt, dass ich zwar leichte Ähnlichkeiten in einigen Punkten erkannte. Aber letztendlich kam ich immer wieder zum Schluss kam, dass ich doch nicht betroffen sei.

    Forenbeiträge müssen besonders kritisch gelesen werden. In Foren werden oft Behauptungen aufgestellt, die eindeutig falsch sind, und Empfehlungen abgegeben, die zumindest fragwürdig sind. Welche Interessen die Beiträge beeinflussen, ist in der Regel unbekannt.

    Aussagen in Foren und auf Webseiten müssen unbedingt anhand anderer Quellen hinterfragt werden. Angaben von scheinbar noch so kompetenten Teilnehmern und sich noch so "wissenschaftlich" gebende Ausführungen haben sich schon oft als falsch bzw. als Pseudowissenschaft erwiesen. Auch konkret bei dem Thema Alexithymie.

    Ein leicht nachvollziehbares Beispiel ist die Zahl vermutlich Betroffener in Deutschland. An sehr vielen Stellen steht, dass ca. 10 Prozent der Gesamtbevölkerung betroffen sind und dass dies etwa 800 000 Betroffene sind. 10 Prozent von 80 Millionen sind 8 Millionen. Das hat natürlich auch tief greifende Auswirkungen auf die Sicht auf Alexithymie. 8 Millionen Menschen kann man z.B. nicht mal eben als krank einstufen. So gravierende und offensichtliche Fehler lassen weitere Fehler und Missverständnisse der jeweiligen Autoren erwarten.

    Übrigens sollten auch meine Aussagen anhand anderer Quellen geprüft werden. Ich schreibe nach bestem Wissen und Gewissen und nach sorgfältiger Prüfung. Aber es können mir leider auch Fehler passieren.

    Positives über Alexithymie und Betroffene ist praktisch nie zu lesen. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass Betroffene so still sind. Es ist ja sowieso nicht erstaunlich, dass Leute, die unter Anderem nicht gerne über Gefühle sprechen, sich nicht gerade lautstark bemerkbar machen. Da motiviert die negative Publicity erst recht nicht dazu, sich selbstbewusst zu Wort zu melden.

    Wenn ich so intensiv über das öffentliche Bild nachdenke, fallen mir diverse Vampir-, Alien- und X-Man&Co-Filme ein, in denen Wesen mit besonderen Eigenschaften versuchen, unerkannt in der feindlichen Menschheit zu überleben. Also tatsächlich Mutanten. Evtl. unterstützt von einigen heldenhaften Menschen, die die Fremden gegen die eigenen Artgenossen verteidigen. Natürlich retten beide Gruppen zusammen die gesamte Menschheit.
    Das wäre doch was. Unverstandene Helden. Aber so schlimm ist es dann doch nicht. Oder doch? Jedenfalls ist es kein bewusster Vorgang. Aber manchmal könnte es einem fast so vorkommen.
    Ob die Erfinder dieser Bücher bzw. Filme Alexithymie hatten? Schluss mit der Spinnerei. ;-)

    Es gibt in Foren eine Reihe von Hilferufen, in denen Bekannte von Betroffenen um Hilfe bitten. Scheinbar können Betroffene für Andere ganz schön anstrengend sein. Solche Hilferufe sind also wohl berechtigt. Aber ich würde gerne mal Lesen, dass wir auch positive Eigenschaften haben, die ausgeprägter sind, als bei Anderen.
    Wenn ich „wir“ schreibe, dann tue ich so, als wenn ich ein typisches Exemplar der Gattung Alexithymie-Mensch bin und für diese stellvertretend schreibe, obwohl das sehr anmaßend und evtl. falsch ist. Dieser Hinweis gilt auch künftig.

    Freitag, 29. Mai 2009

    Deutsche Bezeichnungen


    Alexithymie wird im Deutschen oft als Gefühlsarmut, Gefühlsblindheit und ähnlich bezeichnet. Ich kann verstehen, warum viele Leute bei solchen Begriffen an eiskalte Monster denken, die über Leichen gehen. Ich fühle mich allerdings nicht gefühlsarm oder gefühlsblind.

    Die wörtliche Übersetzung soll Gefühle-nicht-lesen-können sein. Ob ich Gefühle ganz anders wahrnehme, nicht lesen kann, oder nur anders darüber spreche, kann ich nicht beurteilen. Vergleichen kann ich nur, wie ich meine Gefühle äußere und wie Andere ihre Gefühle äußern.

    Die Abkürzung Alexis für Betroffene empfinde ich als distanzierend, überheblich und herablassend.

    Ich gestehe, dass ich auch keine treffende und kurze Bezeichnung kenne. Alexithyme klingt kompliziert. Betroffene hat manchmal etwas von ständiger Trauer. Die bürokratisch korrekte Bezeichnung wäre vermutlich Mitbürger mit alexithymen Persönlichkeitsmerkmalen.

    Donnerstag, 21. Mai 2009

    Krankheit oder Persönlichkeit?


    Ich leide nicht an Alexithymie. Ich fühle mich nicht krank. Ich sehe aus meiner Sicht Unterschiede, keine Defizite. So wie ich aus Sicht Anderer anscheinend Defizite bei Gefühlen habe, haben Andere aus meiner Sicht Defizite bei der Logik. So wie ich für Andere evtl. leidenschaftslos bin, sind Andere für mich theatralisch.

    Vielleicht bin ich etwas anders als die Mehrheit. Ich habe damit kein grundsätzliches Problem. Es hat Vor- und Nachteile. Natürlich gibt es Probleme, die auf alexithyme Merkmale zurück geführt werden können. Aber auch Menschen ohne Alexithymie leben nicht problemfrei. Ich möchte da nicht leichtfertig tauschen und bin gerne so, wie ich bin.

    Ich bin neugierig zu erfahren, wo Unterschiede sind und wie sich diese Unterschiede bemerkbar machen. Besonders, wie andere fühlen bzw. was sie unter Gefühlen verstehen. Ich würde gerne mal probeweise tauschen. Aber nicht dauerhaft.

    Mir ist bekannt, dass psychisch Kranke ihre Erkrankung häufig gar nicht oder zeitweise nicht erkennen.

    Trotzdem halte ich es für angemessen bei Alexithymie von Persönlichkeitsmerkmalen oder Persönlichkeitseigenschaften zu sprechen und nicht von einer Krankheit. Zumal das im Einklang mit der medizinischen Sicht ist.
    Weniger sperrig klingt die Bezeichnung Charakterzüge. Damit kommen keine Gefühle der Auffälligkeit, Besonderheit, Ausgegrenztheit, Abartigkeit etc. auf. Charakterzüge sind etwas Normales. Charakterzüge hat Jeder.

    Einige Alexithyme zeigen psychosomatische Symptome. Es wird deshalb oft vermutet, dass Alexithyme ein höheres Risiko hätten, Persönlichkeitsstörungen zu entwickeln.
    Die gängige Erklärung ist, dass Gefühle zwar auftreten, aber nicht erkannt, werden. Sie werden vom Betroffenen nicht gelesen. Das Unvermögen, die eigenen Gefühle zu steuern führe zu immer stärkerem inneren Druck, der sich schließlich in psychosomatischen Symptomen zeige.

    Ich frage mich, ob nicht auch der Druck durch die Außenwelt, sich ständig nach Norm zu verhalten, zu diesen Symptomen führen könnte. Dieser Druck ist unterschwellig ständig, in speziellen Situationen massiv vorhanden.

    Ich kann mir vorstellen, dass der Druck von außen, sich ständig nach Norm zu verhalten bzw. das Verhalten Anderer zu interpretieren, viel eher krank machen könnte.

    Die Studie "Do Alexithymic Traits Predict Illness?" von Greenberg Roger P. PH.D. und Dattore, Patrick J. PH.D. deutet jedoch darauf hin, dass alexithyme Merkmale keine psychosomatischen Erkrankungen auslösen. 181 Männer waren mindestens ein Jahr vor einer Erkrankung auf alexithyme Merkmale untersucht worden. Verglichen wurden Männer die 10 Jahre gesund blieben und Männer die innerhalb von 10 Jahren entweder bestimmte körperliche Erkrankungen (z.B. Krebs), psychosomatische Erkrankungen (z.B. Geschüre im Verdauungstrakt) oder psychische Erkrankungen (z.B. Schizophrenie) entwickelten.

    Bei der Überprüfung der ursprünglich gemessenen alexithymen Merkmale wurden zwischen den Gruppen keine signifikanten Unterschiede festgestellt. Weder der Anteil an Männern mit Alexithymie, noch der Grad der alexithymen Merkmale unterschied sich zwischen später gesunden und erkrankten Männern.

    Das Alexithyme ein höheres Risiko haben Persönlichkeitsstörungen zu entwickeln, wird durch die Studie mmöglicherweise widerlegt. Es bestehen zumindest berechtigte Zweifel an der immer wieder zu lesenden und zu hörenden These, dass Alexithymie Krankheiten verursachen könne.

    Die Studie schließt nicht aus, dass Alexithymie die Folge von Krankheiten sein kann oder dass Alexithyme auf Behandlungen schlechter reagieren und Krankheitsverläufe sich verlängern.

    Die Vermutung, dass Alexithymie zu psychosomatischen Erkrankungen führen könne, beruht scheinbar ausschließlich darauf, dass ca. 25% psychosomatisch Erkrankter, aber nur ca. 10% Gesunder alexithyme Merkmale aufweisen.

    Die genannte Studie und diese prozentualen Unterschiede lassen den Schluss zu, dass Alexithyme nicht häufiger psychosomatisch erkranken, als nicht Alexithyme. Aber psychosomatisch Erkrankte könnten alexithyme Merkmale entwickeln, die sie vor der Erkrankung nicht hatten. Oder aufgrund einer gemeinsamen Ursache entstehen psychosomatische Erkrankungen und parallel alexithyme Merkmale.

    Eine weitere Ursache für die erhöhten Prozentwerte könnte darin liegen, dass gängige Heilmethoden für psychosomatische Erkrankungen bei Erkrankten mit alexithymen Merkmalen nicht oder zumindest schlechter wirken. Wenn Alexithyme länger in Behandlung bleiben als nicht Alexithyme, erhöht das natürlich den Prozentsatz der aktuell in Behandlung befindlichen Alexithymen gegenüber nicht Alexithymen.

    Einige Heilmethoden in der Psychosomatik beruhen z.B. stark darauf, dass Erkrankte ihre Gefühle, Handlungen etc. im großen Kreis schildern und bewerten lassen müssen. Dass solche Methoden bei Alexithymen schlechter helfen, kann ich mir sehr gut vorstellen.

    Allerdings gibt es trotz einiger Studien keine eindeutigen Belege, dass Alexithymie Behandlungen schwieriger macht.

    Wenn sich die Studie von Greenberg und Dattore bestätigt, können die Ergebnisse wohl nur dadurch erklärt werden, dass ein Teil psychosomatisch Erkrankter alexithyme Merkmale entwickelt und nicht umgekehrt.

    Donnerstag, 14. Mai 2009

    Wie ich Alexithymie festgestellt habe


    So lange ich mich erinnern kann, habe ich mich beim Anblick und beim Miterleben von Gefühlsausbrüchen, z.B. bei Fußballgroßereignissen oder im Karneval unwohl und als Außenstehender gefühlt. Auch bei persönlicheren Anlässen wie Geburtstagen, Singen am Lagerfeuer etc. habe ich nie verstanden wie quasi auf Knopfdruck Freude und Ausgelassenheit die anderen Anwesenden ergriff. Ich habe mich dann geziert bis verweigert. Ich spürte immer eine seltsame Mischung aus Faszination und Abneigung. Die Faszination schien eher Gefühl zu sein, die Abneigung eher Verstand. Der Verstand hat immer gewonnen.

    An große Gefühle wie überschwängliche Freude, Trauer, Liebe, Angst kann ich mich nicht erinnern. Entsprechende Filme und Erzählungen kamen mir immer extrem übertrieben vor.

    Ein typisches Gefühl bei mir ist ein leichtes Kribbeln im Bauch bei Hunger, unbekannten Situationen usw. Alles viele Nummern kleiner und unspektakulärer, als man es von Anderen hört. Ich hielt die Anderen immer für penetrant extrovertiert, mich für introvertiert.

    Beim zufälligen Lesen eines Berichts über Alexithymie kamen mir einige der typischen Merkmale bekannt vor. Andere Merkmale trafen überhaupt nicht zu. Diesmal wollte und konnte ich dem Eindruck, vielleicht einige Eigenarten zu haben, stärker auf den Grund gehen, als bei vorherigen Gelegenheiten, weil es mittlerweile das Web gab.

    Ein von mir auf eigene Faust unbetreut durchgeführter TAS-20 (Toronto Alexithymia Scale) Test brachte das Ergebnis, dass ich von Alexithymie betroffen bin. Die genaue Punktzahl war mir unklar, weil ich das Gefühl hatte, den Sinn einiger Fragen nicht wirklich verstanden zu haben. Aber auch mit minimaler Punktzahl lag ich über der Grenze für Alexithymie.

    Später fand ich das für mich zugänglichere Online Alexithymia Questionaire. Die Fragen waren klarer gestellt und deshalb einfacher zu beantworten. Ab 113 von 185 möglichen Punkten wird Alexithymie angenommen. Ich bekam 153 Punkte. Das Programm meldete als Ergebnis: Alexithymia. You show high alexithymic traits.

    Die einzelnen Merkmale kommen auch bei anderen Krankheiten, Defiziten etc. vor. Bisher passt Alexithymie bei Vergleiche und Tests am Besten.


    Montag, 11. Mai 2009

    Einleitung

    In diesem Blog schreibe ich meine persönliche Sicht als Betroffener auf das Thema Alexithymie auf.


    Ich gehöre zu den ca. 10 Prozent von Menschen, die Gefühle anders wahrnehmen und mit Gefühlen anders umgehen, als die anderen 90 Prozent.


    Im Web sind mittlerweile viele Beiträge über Alexithymie von nicht direkt Betroffenen zu finden. Meistens von Angehörigen und Wissenschaftlern. Nur selten sind Beiträge von Betroffenen zu finden. Betroffene schreiben in der Regel höchstens in Foren etc., dass sie betroffen sind und erbitten gezielte Informationen. Manchmal gibt es noch kurze Informationen zur Vorgeschichte.


    Beiträge von Betroffenen, die wirklich ein Licht auf die eigene Innenwelt werfen, habe ich nicht gefunden. Also versuche ich das mal.


    Ich plane kein Tagebuch über meine jeweils aktuellen Befindlichkeiten. Es sind keine Sensationen zu erwarten. Ich plane auch keine weitere Informationsseite zu Alexithymie.


    Ich versuche aus meiner subjektiven Sicht grundlegende Mechanismen transparent zu machen, quasi wie ich glaube zu funktionieren. Natürlich werden dabei indirekt aktuelle persönliche Befindlichkeiten eingehen. Es treten also evtl. Widersprüchlichkeiten auf.


    Meine Ansichten beruhen ausschließlich auf meinen eigenen Erfahrungen. Ich kann nicht beurteilen, ob und wie weit ich ein typisches Beispiel für Betroffene bin.


    Vielleicht findet im Laufe der Zeit die eine oder andere Interessentin oder ein Interessent diesen Blog in den Tiefen des Webs. Vielleicht werden von Betroffenen Gemeinsamkeiten gefunden. Vielleicht verstehen nicht Betroffene nach dem Lesen einige Dinge besser.


    Zur Zeit habe ich vor auf folgende Themen einzugehen

    • Wie ich Alexithymie bei mir festgestellt habe.
    • Meine Ergebnisse bei Toronto Alexithymia Scale und Online Alexithymia Questionnaire .
    • Vorteile.
    • Wie Web-Kommentare auf mich wirken.
    • Deutsche Bezeichnungen.
    • Krankheit, Defizit oder Merkmal?
    • Sind Männer häufiger betroffen als Frauen?
    • Die Wirkung von Tabus.
    • Die Bedeutung von Regeln
    • Erwartungen, Zuverlässigkeit und Enttäuschungen.
    • Aggressionen.
    • Zurückziehen.
    • Betroffene an die Hand nehmen.


    Nicht jedes Thema wird in genau einem Eintrag und in dieser Reihenfolge behandelt. Aber alle Themen werden wahrscheinlich vorkommen. Wie weit ich konkret auf einzelne persönliche Gefühle eingehe, ist offen.