Sonntag, 4. Dezember 2011

Offene Fragen und scheinbare Widersprüche


Die Beschäftigung mit Alexithymie kann schnell zu Verwirrung führen. Es gibt die schon erwähnten vier Kriterien zur Alexithymie. Darüber hinaus scheint jeder Autor unter Alexithymie etwas anderes zu verstehen. Die unterschiedlichen Konzepte zur Erklärung von Ursachen und Wirkungen klingen dabei in sich meistens plausibel, scheinen sich oft aber gegenseitig zu widersprechen. Sie lassen z.B. offen, ob es eine spezifische Ursache für eine spezifische Alexithymie gibt, oder ob es mehrere Ursachen für verschiedene Arten von Alexithymie gibt. Mal gelten Entwicklungsstörungen im Gehirn als Ursachen, dann eine gestörte Beziehung zwischen Mutter und Kind, dann wieder mehr oder weniger traumatische Erlebnisse, chronischer Stress etc. in jeder Altersphase usw.

Auch die Hirnforschung klärt nicht, ob z.B. Auffälligkeiten bei der Informationsverarbeitung die Ursache für Alexithymie oder die Folge von Alexithymie sind. Oder ob diese Auffälligkeiten und Alexithymie sogar unterschiedliche Folgen einer Ursache sind. Die meisten Autoren interpretieren diese Fragen auf jeweils ihre eigene Art, statt sie offen anzusprechen.

Entsprechend unklar ist, ob es Behandlungsmöglichkeiten gibt. Je nach Autor und angenommener Ursache wird behauptet, dass eine Behandlung nicht möglich ist, oder es werden Erfolg versprechende Behandlungsansätze beschrieben.

Auch die Kernfrage wird nicht eindeutig beantwortet: Haben Betroffene weniger oder kaum Gefühle, oder können sie diese nur nicht benennen?

Dieser chaotische Eindruck entsteht hauptsächlich, weil die Autoren sich auf bestimmte Aspekte beschränken müssen und nicht alle Facetten der Alexithymie betrachten werden. Leider wird das aber nicht einmal angedeutet. Besonders in den nicht wissenschaftlichen Medien wird stark vereinfacht, ohne entsprechende Hinweise. Oft wird zudem unterschlagen, dass viele Aussagen zur Alexithymie noch Theorien, Hypothesen und Vermutungen sind. Die in wissenschaftlichen Veröffentlichungen zahlreichen Einschränkungen durch Wörter wie „möglich“, „vielleicht“, „scheinbar“ etc., werden in anderen Medien meistens weg gelassen.

Deshalb noch einige Informationen, die vielleicht einige Widersprüche etwas aufhellen.
Im Zusammenhang mit Alexithymie werden manchmal 3 Typen unterschieden:

Typ I
Betroffene haben ein wenig ausgeprägtes Gefühlsleben, wenig Fantasie und sie können ihre Gefühle nur schlecht identifizieren, bewerten und mitteilen. Sie können nicht über ihre Gefühle sprechen und wissen nicht, was sie fühlen.

Typ II
Betroffene empfinden Gefühle, haben aber Schwierigkeiten Gefühle in Worte zu fassen, sie zu identifizieren und zu analysieren. Im Gegensatz zu Typ I haben sie eine gut entwickelte Vorstellungskraft. Unter den Alexithymen mit Typ II sind oft Opfer von sexuellem Missbrauch zu finden.

Typ III
Betroffene können über ihre Gefühle sprechen, Gefühle identifizieren und analysieren, aber ihr Gefühlsleben ist wenig entwickelt und sie haben wenig Fantasie.

Von primärer Alexithymie wird gesprochen, wenn die Alexithymie angeboren, oder durch Erfahrungen oder Ereignisse in der frühen Kindheit entstanden ist. Die Alexithymie ist dann quasi ein Teil der Persönlichkeit.
Wenn die alexithyme Eigenschaften eine ganz bestimmte Ursache haben und nur zeitweise auftreten, wird von sekundärer Alexithymie gesprochen. Solche Ursachen können z.B. traumatische Erfahrungen bei schrecklichen Ereignissen sein.
Im Englischen wird auch von trait alexithymia (primäre Alexithymie) und state alexithymia (sekundäre Alexithymie) gesprochen.

Die sekundäre Form wird in der Regel als "heilbar" betrachtet. Auch bei Formen, die nicht als vollständig "heilbar" gelten, kann nach einigen Quellen zumindest oft erreicht werden, dass Betroffene besser mit der Alexithymie bzw. mit ihren Mitmenschen umgehen können. Mir ist aber z.B. nicht klar, ob eine gestörte Mutter-Kind-Beziehung in den ersten Lebensjahren des Kindes als sekundäre oder als primäre Alexithymie angesehen wird.

Diese Differenzierungen zeigen, dass viele Berichte und Diskussionen über Alexithymie sich nicht unbedingt widersprechen. Aber es ist sehr oft unklar, welcher Aspekt oder Typ betrachtet wird.
Unter dem Begriff Alexithymie ist eine große Bandbreite von unterschiedlichen Persönlichkeitsmerkmalen zusammen gefasst. Diese verschiedenen Merkmale sind jeweils auch noch unterschiedlich stark ausgeprägt.

Betroffene dürfen genau so wenig pauschal einfache Schubladen gesteckt werden, wie nicht Alexithyme. Es versucht ja auch niemand alle Handlungen eines nicht Alexithymen mit einigen wenigen Persönlichkeitseigenschaften bzw. Charakterzügen zu erklären und zu begründen.
Das ist besonders wichtig, wenn online direkt oder indirekt Betroffenen Erklärungen und Hilfestellung gegeben werden soll. Es entstehen sehr leicht falsche Vorstellungen. Es ist ein großer Unterschied, ob der Hilfe suchenden Freundin eines Betroffenen mitgeteilt wird, dass ihr Partner nie Gefühle haben wird, oder ob Möglichkeiten zur Hilfe aufgezeigt werden.


1 Kommentar:

  1. Bitte, bitte unterscheidet Alexithyme vom Soziopathen. Ganz ganz wichtig!!!!

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