Donnerstag, 21. Mai 2009

Krankheit oder Persönlichkeit?


Ich leide nicht an Alexithymie. Ich fühle mich nicht krank. Ich sehe aus meiner Sicht Unterschiede, keine Defizite. So wie ich aus Sicht Anderer anscheinend Defizite bei Gefühlen habe, haben Andere aus meiner Sicht Defizite bei der Logik. So wie ich für Andere evtl. leidenschaftslos bin, sind Andere für mich theatralisch.

Vielleicht bin ich etwas anders als die Mehrheit. Ich habe damit kein grundsätzliches Problem. Es hat Vor- und Nachteile. Natürlich gibt es Probleme, die auf alexithyme Merkmale zurück geführt werden können. Aber auch Menschen ohne Alexithymie leben nicht problemfrei. Ich möchte da nicht leichtfertig tauschen und bin gerne so, wie ich bin.

Ich bin neugierig zu erfahren, wo Unterschiede sind und wie sich diese Unterschiede bemerkbar machen. Besonders, wie andere fühlen bzw. was sie unter Gefühlen verstehen. Ich würde gerne mal probeweise tauschen. Aber nicht dauerhaft.

Mir ist bekannt, dass psychisch Kranke ihre Erkrankung häufig gar nicht oder zeitweise nicht erkennen.

Trotzdem halte ich es für angemessen bei Alexithymie von Persönlichkeitsmerkmalen oder Persönlichkeitseigenschaften zu sprechen und nicht von einer Krankheit. Zumal das im Einklang mit der medizinischen Sicht ist.
Weniger sperrig klingt die Bezeichnung Charakterzüge. Damit kommen keine Gefühle der Auffälligkeit, Besonderheit, Ausgegrenztheit, Abartigkeit etc. auf. Charakterzüge sind etwas Normales. Charakterzüge hat Jeder.

Einige Alexithyme zeigen psychosomatische Symptome. Es wird deshalb oft vermutet, dass Alexithyme ein höheres Risiko hätten, Persönlichkeitsstörungen zu entwickeln.
Die gängige Erklärung ist, dass Gefühle zwar auftreten, aber nicht erkannt, werden. Sie werden vom Betroffenen nicht gelesen. Das Unvermögen, die eigenen Gefühle zu steuern führe zu immer stärkerem inneren Druck, der sich schließlich in psychosomatischen Symptomen zeige.

Ich frage mich, ob nicht auch der Druck durch die Außenwelt, sich ständig nach Norm zu verhalten, zu diesen Symptomen führen könnte. Dieser Druck ist unterschwellig ständig, in speziellen Situationen massiv vorhanden.

Ich kann mir vorstellen, dass der Druck von außen, sich ständig nach Norm zu verhalten bzw. das Verhalten Anderer zu interpretieren, viel eher krank machen könnte.

Die Studie "Do Alexithymic Traits Predict Illness?" von Greenberg Roger P. PH.D. und Dattore, Patrick J. PH.D. deutet jedoch darauf hin, dass alexithyme Merkmale keine psychosomatischen Erkrankungen auslösen. 181 Männer waren mindestens ein Jahr vor einer Erkrankung auf alexithyme Merkmale untersucht worden. Verglichen wurden Männer die 10 Jahre gesund blieben und Männer die innerhalb von 10 Jahren entweder bestimmte körperliche Erkrankungen (z.B. Krebs), psychosomatische Erkrankungen (z.B. Geschüre im Verdauungstrakt) oder psychische Erkrankungen (z.B. Schizophrenie) entwickelten.

Bei der Überprüfung der ursprünglich gemessenen alexithymen Merkmale wurden zwischen den Gruppen keine signifikanten Unterschiede festgestellt. Weder der Anteil an Männern mit Alexithymie, noch der Grad der alexithymen Merkmale unterschied sich zwischen später gesunden und erkrankten Männern.

Das Alexithyme ein höheres Risiko haben Persönlichkeitsstörungen zu entwickeln, wird durch die Studie mmöglicherweise widerlegt. Es bestehen zumindest berechtigte Zweifel an der immer wieder zu lesenden und zu hörenden These, dass Alexithymie Krankheiten verursachen könne.

Die Studie schließt nicht aus, dass Alexithymie die Folge von Krankheiten sein kann oder dass Alexithyme auf Behandlungen schlechter reagieren und Krankheitsverläufe sich verlängern.

Die Vermutung, dass Alexithymie zu psychosomatischen Erkrankungen führen könne, beruht scheinbar ausschließlich darauf, dass ca. 25% psychosomatisch Erkrankter, aber nur ca. 10% Gesunder alexithyme Merkmale aufweisen.

Die genannte Studie und diese prozentualen Unterschiede lassen den Schluss zu, dass Alexithyme nicht häufiger psychosomatisch erkranken, als nicht Alexithyme. Aber psychosomatisch Erkrankte könnten alexithyme Merkmale entwickeln, die sie vor der Erkrankung nicht hatten. Oder aufgrund einer gemeinsamen Ursache entstehen psychosomatische Erkrankungen und parallel alexithyme Merkmale.

Eine weitere Ursache für die erhöhten Prozentwerte könnte darin liegen, dass gängige Heilmethoden für psychosomatische Erkrankungen bei Erkrankten mit alexithymen Merkmalen nicht oder zumindest schlechter wirken. Wenn Alexithyme länger in Behandlung bleiben als nicht Alexithyme, erhöht das natürlich den Prozentsatz der aktuell in Behandlung befindlichen Alexithymen gegenüber nicht Alexithymen.

Einige Heilmethoden in der Psychosomatik beruhen z.B. stark darauf, dass Erkrankte ihre Gefühle, Handlungen etc. im großen Kreis schildern und bewerten lassen müssen. Dass solche Methoden bei Alexithymen schlechter helfen, kann ich mir sehr gut vorstellen.

Allerdings gibt es trotz einiger Studien keine eindeutigen Belege, dass Alexithymie Behandlungen schwieriger macht.

Wenn sich die Studie von Greenberg und Dattore bestätigt, können die Ergebnisse wohl nur dadurch erklärt werden, dass ein Teil psychosomatisch Erkrankter alexithyme Merkmale entwickelt und nicht umgekehrt.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen