Donnerstag, 7. Juli 2011

Ein Lehrstück über Kommunikationsprobleme


Da in einem Kommentar das Forum zu Alexithymie auf imedo angesprochen wurde, berichte ich meine Erfahrungen mit diesem Forum. Diese Erfahrungen sind für mich ein typisches Beispiel, wie schwierig Kommunikation sein kann.

Vor ca. 2 Jahren habe ich mich bei dem Forum angemeldet. Weil dort nur Angehörige und aufgrund von Problemen Hilfe suchende Betroffene schrieben, wollte ich die Sichtweise eines Betroffenen beitragen, der keine Hilfe, sondern Gedankenaustausch und Informationen sucht.

Nach einer langen Vorstellung und einigen eher belanglosen Beiträgen, bot sich die Gelegenheit eine Diskussion zu versuchen. In einer Antwort auf einen entsprechenden Beitrag der Forengründerin habe ich vorsichtig angedeutet, dass es für mich nicht in Ordnung ist, pauschal alle Betroffenen als krank zu bezeichnen. Dass es sehr wohl Betroffene gibt, die gesund und sogar zufrieden leben etc. Dass z.B. ich mich gut fühle. Dass auch in den Hinweisen zum Forum richtig stehe, dass Alexithymie keine Krankheit, sondern ein Persönlichkeitsmerkmal sei usw. Der Beitrag war sachlich, ohne Vorwürfe, persönliche Angriffe oder Ähnlichem.

Die Moderatorin antwortete darauf unangemessen barsch und warf mir vor, das Thema zu verharmlosen und die Fakten zu leugnen. Scheinbar fühlte sie sich persönlich angegriffen, obwohl mein Schreiben keinerlei Angriff enthielt. Sie wiederholte, dass Alexithymie eine Krankheit sei, dass alle Betroffenen krank seien und dass Alexithymie in jedem Fall massive negative Folgen habe. Sie begründete dies mit Hypothesen aus der Hirnforschung. Die Formulierung, dass sie persönlich Alexithymie für eine Krankheit hält, wäre ja evtl. noch diskussionsfähig gewesen. So wurde aber ausdrücklich nicht argumentiert. Alexithymie ist eine Krankheit, hieß es.

Die Antwort von mir habe ich noch als Sicherung. Die anderen Beiträge habe ich leider nicht rechtzeitig gesichert.

Grundsätzlich beruhen die neurologisch motivierten Hypothesen - und mehr als Hypothesen sind es nicht - auf den üblichen Messungen von Gehirnaktivitäten, z.B. durch fMRI. Die Messungen dürfen nur sehr vorsichtig interpretiert werden. Es ist unklar, ob wirklich alle relevanten Gehirnaktivitäten erfasst werden, was diese Aktivitäten überhaupt aussagen usw. Du kennst sicher die Diskussionen dazu. Ansonsten ist ein guter Einstieg "Die Illusion von Einsicht" auf faz.net.
Speziell bei Alexithymie ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass die Teilnehmerzahlen meistens sehr niedrig sind. Und es gibt nur wenige Studien mit Betroffenen, die nicht in einer Behandlung aufgrund zusätzlicher Probleme waren, die die Ergebnisse evtl. beeinflussen haben.
Leider haben alle bisherigen Studien Mängel und es gibt bisher keine überzeugende neurologische Erklärung.
Ich rede nicht schön. Vor allem leugne ich keine Fakten. Aber wenn persönliche Erfahrungen, auch wenn sie bitter sein mögen, pauschalisiert werden, erlaube ich mir die tatsächlichen Fakten den angeblichen Fakten gegenüber zu stellen.
Alexithymie kann wahrscheinlich negative Folgen haben. So sieht es die Medizin und dem stimme ich zu. Aber nicht alle Menschen mit Alexithymie sind massiv negativ betroffen. Nicht bei allen ist die Lebensqualität stark eingeschränkt. Nicht alle haben psychosomatische Erkrankungen. Nicht alle Betroffenen sind durch Begleitsymptome krank. Nicht einmal die jeweiligen Prozentsätze sind bekannt. In Wirklichkeit ist nicht einmal klar, was Ursachen, was Wirkungen und was zufällige Überschneidungen sind.
Derzeit geht man davon aus, dass ca. 20% psychosomatisch Erkrankter auch alexithyme Merkmale zeigen. Darunter ist wohl ein hoher Anteil, die diese Merkmale im Zuge anderer Auffälligkeiten haben. Sie haben also genau genommen nicht Alexithymie, sondern Essstörungen, Asperger etc. Es wird vermutet, dass Alexithymie das Risiko für psychosomatische Erkrankungen erhöht. Auch das ist kein bewiesener Fakt. Ein höheres Risiko bedeutet nicht, dass das Risiko bzw. die psychosomatische Erkrankung auch eintritt.

Der Prozentsatz an Rauchern ist bei Lungenkrebskranken deutlich höher, als bei Gesunden. Das Risiko von Rauchern für Lungenkrebs ist erhöht. Nach deiner Argumentation wären alle Raucher grundsätzlich krank. Es gibt für viele Krankheiten eine genetische Disposition. Menschen mit entsprechenden Genen wären also krank, auch wenn sie die eigentliche Krankheit nicht haben. Letztendlich wäre jeder Mensch krank, weil er krank werden könnte.
Für mich ist ein Raucher erst krank, wenn er, im Beispiel, Lungenkrebs hat. Ein Mensch mit genetischer Disposition ist erst krank, wenn die entsprechende Krankheit ausbricht. Genau so ist ein Mensch mit Alexithymie erst krank, wenn er, als Beispiel, psychosomatisch krank ist. Aber er ist nicht schon krank, weil er alexithyme Merkmale zeigt.

Bei allem Engagement das Thema in die Öffentlichkeit zu bringen, kann es nicht angehen jeden 10. Menschen als krank oder behindert zu bezeichnen, obwohl Medizin und Forschung von einem Persönlichkeitsmerkmal sprechen. 90%, also etwa 7,2 Millionen Menschen in Deutschland, schreibst du sogar nicht aktivierte Gehirnregionen in Form einer Behinderung zu.


Weil ich den Eindruck hatte, dass die Forengründerin meine Argumentation und mein Hauptanliegen nicht verstand, habe ich im nächsten Beitrag oder einem der nächsten Beiträge geschrieben, dass die ständige Einstufung aller Betroffener als krank "im Grunde eine Diskriminierung" darstellt. Alles andere war im gleichen Stil geschrieben, wie der Beitrag oben.

Diese Formulierung zur Diskriminierung hatte ich lange überdacht. Aus meiner Sicht war diese Formulierung die einzige Möglichkeit, dass der Moderatorin mein Anliegen und die Problematik ihrer Aussagen klar werden könnten, ohne dass sie sich persönlich angegriffen fühlen musste. Die Formulierung macht ganz klar, dass ich ihr persönlich den Vorwurf eben nicht machen wollte. Das Risiko, missverstanden zu werden und damit trotz aller Vorsicht Empörung auszulösen war mir bewusst. Je nach weiterem Verlauf wollte ich weiter diskutieren, diese einzelne Diskussion abbrechen, oder mich ganz aus dem Forum zurückziehen.

Immerhin sollte das Forum ja eine Diskussions- und Selbsthilfegruppe für Betroffene und Angehörige sein. Es gab also bei mir die leise Hoffnung, dass auf beiden Seiten Interesse bestand, die jeweiligen Standpunkte und die jeweilige Wirkung aufeinander vielleicht besser zu verstehen. Zudem hat die Forengründerin ja angeblich einige Erfahrung im Umgang mit Betroffenen.

Es war vorhersehbar und es kam, wie es kommen musste. Die Empörung der Forengründerin war groß. Im Furor wurde auf kein Argument mehr eingegangen und auch kein Argument gebracht. Ich sollte mich dafür entschuldigen, weil ich der Forengründerin vorwerfen würde, dass sie Betroffene diskriminiere.

Wenn es schon Streit gibt, dann muss ich mich nicht weiter zurück halten. Das weitere Beharren der Forengründerin, trotz mehrfacher dezenter Fingerzeige, ist für mich dann tatsächlich diskriminierend. Also habe ich erwidert, dass ich keinen Grund für eine Entschuldigung meinerseits sehe. Wenn überhaupt, müsse sich die Forengründerin bei den Betroffenen entschuldigen.

Die Forengründerin setzte mir eine Frist, bis zu der ich mich öffentlich im Forum bei ihr entschuldigen müsse. Nach Ablauf dieser Frist wurde ich von imedo aus der Gruppe ausgeschlossen. Wobei imedo offensichtlich keinerlei Informationen über den Grund des Ausschlusses hatte.

Einige meiner Beiträge wurden von der Forengründerin gelöscht. Andere blieben stehen. Gelöscht wurden die Beiträge, in denen ich Aussagen der Moderatorin hinterfragt bzw. mit Quellenangaben widerlegt hatte. Sogar ein Beitrag in dem ich ohne Bezug zu anderen Beiträgen einfach nur das Buch „Emotionally Dumb: An Introduction to Alexithymia“ von Jason Thompson als lesenswert empfohlen hatte.

Meiner Bitte an die Forengründerin, konsequenterweise alle meine Beiträge zu löschen, wurde nicht entsprochen. Die Forenbetreuerin von imedo verwies auf die AGB und behauptete, dass die Löschung von Beiträgen in Foren nicht üblich sei. Meine Hinweise, dass selbstverständlich gute und seriöse Foren Beiträge von Teilnehmern auf deren Wunsch löschen und dass es sogar einen Rechtsanspruch auf Beitragslöschung gibt, wenn durch die Beiträge die Identität des Teilnehmers festgestellt werden kann – was aus meiner Sicht in diesem Fall aufgrund der ausführlichen Vorstellung durchaus möglich ist – blieben ergebnislos.

Das Vorgehen sowohl der Forengründerin ist für mich einfach nur albern, das der Betreuerin von imedo unprofessionell. Ich habe daraufhin beschlossen, diesen Blog zu eröffnen, aber nur auf das Forum bei imedo einzugehen, wenn es in einem Kommentar erwähnt wird.

Meine Schlüsse aus dieser Erfahrung bestätigen weitgehend meine bisher gemachten Erfahrungen:
- Diskussionen über strittige Themen zwischen mir und "emotionalen" Menschen sind sinnlos und führen zwangsläufig zu Streit.
- Vorsichtig vorgetragene Argumente werden von "emotionalen" Menschen nicht verstanden.
- Auch nur etwas deutlicher vorgebrachte Argumente werden von "emotionalen" Menschen immer persönlich genommen und es wird beleidigt reagiert.
- Tatsachen bzw. Fakten werden von "emotionalen" Menschen willkürlich verdreht.

Speziell für das Forum bzw. die dortige Diskussionskultur gilt:
- Das Forum dient nicht dem gleichberechtigten Gedankenaustausch zwischen Betroffenen und nicht Betroffenen.
- Betroffene sind ausschließlich als Hilfe suchende Kranke erwünscht.
- Im Forum werden berufliche und private Interessen der Gründerin zu einer sehr fragwürdigen Ideologie verbunden.
- Andere Sichtweisen, als die der Gründerin sind nicht erwünscht und werden entfernt.
- Fragwürdige Aussagen der Forengründerin sind nicht unbedingt auf Unwissen zurück zu führen, sondern dienen zumindest teilweise bewusst der Verbreitung der eigenen Ideologie.
- Konkrete Aussagen, Antworten und Hilfen sind selten, es überwiegen Allgemeinplätze und Selbstmitleid.

Zwei Beispiele aus der Einstiegsseite des Forums bzw. der zugehörigen Gruppe:

Die Formulierung "Alexithymie (im Volksmund:Gefühlsblindheit) ist keine Erkrankung, sondern vielmehr (noch) ein Persönlichkeitsmerkmal" suggeriert, dass eine Einstufung als Erkrankung kurz bevor steht. Unterschlagen wird, dass Alexithymie seit Jahrzehnten bekannt ist und in Wissenschaft und Medizin die Einstufung als Persönlichkeitsmerkmal unbestritten ist.

10% Betroffene machen das Thema wichtig. Der Prozentsatz an Betroffenen mit zusätzlichen Erkrankungen ist bei insgesamt 8 Millionen Betroffenen aber recht gering. Bei insgesamt 8000000 Betroffenen ist der Anteil natürlich deutlich höher. Obwohl die absolute Zahl gleich ist. 8 Millionen Betroffene kann man nicht glaubhaft zu Kranken erklären. Also bleibt es ganz bewusst bei der Formulierung: "Man geht heute davon aus, das etwa 10% der Einwohner von Deutschland betroffen sind. Dies wären immerhin mehr als 830.000 Personen."

Fazit:
Vielleicht wird einigen Angehörigen oder Betroffenen bei akuten Problemen per Telefonkontakt indirekt über das Forum zumindest kurzfristig geholfen. Gerade psychisch angeschlagene Menschen fühlen sich oft ja schon besser, wenn sich jemand um sie kümmert. Allerdings sehe ich das gerade vor dem beruflichen Hintergrund der Forengründerin sehr kritisch.
Ein guter längerfristiger Diskussionsort für Betroffene ist das Forum nicht. Wie oben geschrieben, habe ich die geschilderten Erfahrungen vor ca. 2 Jahren gemacht. Ob sich mittlerweile etwas im Forum geändert hat, kann ich nicht beurteilen.

Für mich liegt es übrigens nahe, dass Betroffene tatsächlich krank werden und psychosomatische Beschwerden zeigen, wenn mit ihnen täglich in der Form umgegangen wird, wie ich es im Forum erlebt habe und wie ich es auch aus anderen Beiträgen dort heraus lese. Ich frage mich, wer in diesem Fall eigentlich gefühllos und wer gefühlvoll agiert. Vielleicht ist die Unterscheidung zischen gefühllos und gefühlvoll wirklich nur eine Frage des Theaters, dass die jeweilige Person um die eigenen Gefühle macht.

1 Kommentar:

  1. Ich verstehe deine Kritikpunkte und kann dir in Bezug auf diese konkrete Diskussion nur zustimmen.
    Allerdings finde ich, dass das Verhältnis zwischen aktiv und passiv Betroffenen mittlerweile ausgeglichener ist. Außerdem ist das imedo-Forum leider die einzige mir bekannte Möglichkeit aktiv mit anderen über dieses Thema zu kommunizieren. Zusätzlich bestehen schon einige Threads zu anderen Themen als zerbrechenden Beziehungen.
    Der Inhalt deines Blogs wäre dabei ein weiterer sehr wertvoller Beitrag zum besseren Verständnis "unserer" Sicht.

    '- Konkrete Aussagen, Antworten und Hilfen sind selten, es überwiegen Allgemeinplätze und Selbstmitleid'
    Dazu könnte man sagen, dass für betroffene Angehörige alleine die Tatsache, dass sie ihre Geschichte Leuten mit vergleichbaren Erfahrungen erzählen können und das Gefühl haben verstanden zu werden, eine sehr große Hilfe sein kann.

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